Berliner Verkehr. Öffentlich und privat.


Bevor mir jetzt Voyeurismus und mangelnde Widerstandsfähigkeit gegen unsere von sexuellen Worten und Werten durchsetzte  Gesellschaft vorgeworfen wird, möchte ich die Zusammenhänge erklären. Es steht in unserer Gesellschaft weit oben auf der Liste der wichtigen Dinge, manche tun es mehr oder minder regelmäßig und wer nicht, würde es zumindest gern: pünktlich kommen. Aber Bus, Bahn und die Oma vor uns, die die Einkaufstaschen in den zittrigen Händen und dem Rauhaardackel an der Leine, mit der man bequem Wäsche vom Kotti bis zum Südstern aufhängen könnte, hält, machen uns einen Strich durch die Rechnung. Also kommen wir zu spät, und das regelmäßig. Ihren Beitrag dazu leisten die Züge eines gewissen ortansässigen Verkehrsunternehmens, die regelmäßig unregelmäßig verkehren.

Mit der Bahn ist man nicht mehr nur mobil, sondern völlig ungebunden, sozusagen losgelöst von Zeit und Raum. Wer in heißen Sommern noch nicht untertänigst um eine Klimaanlage gefleht und im Winter bereut hat, nur einen Schal umgebunden zu haben, würde behaupten, ich übertreibe. Immerhin bietet dieses Verkehrsunternehmen ihren Fahrgästen jeden Sommer kostenlose Saunaplätze, die ausgesprochenes Potenzial als Kontaktbörse haben. Ich empfehle jedem Touristen, der die Bundeshauptstadt in einer authentischen Atmosphäre erleben möchte, eine Fahrt in einem der beige-rot-grauen Waggons, die vor allem ein Gefühl nahe bringen: Ostalgie. Jeder Fahrgast hat mindestens schon einmal den Gedanken erwogen, dass die Fahrgeräusche der Wagenzwischenteile (Bahnmaschinentechniker entschuldigen bitte das Fehlen des korrekten Jargons) unbeabsichtigt sei und der letzte Wartungseintrag von November 1989 demnächst mal überholt werden müsse. Es quietscht gemütlich und knarrt heimelig, es wackelt und rüttelt und lässt uns nicht vergessen, wo wir sind. Wenn es in Berlin regnet, tropft es auch in der S-Bahn, flirrt die Sommerhitze über den Asphalt, flirrt sie auch zwischen Haltestangen und Klappsitzen. Die nassen Schirme zwischen euren Füßen und Hosenbeinen und der interessante Geruch in einer sommerlich-bepackten Bahn erinnern auch die Dösenden an die Eigenheiten ihrer Stadt.
Im Winter testet das gewisse Verkehrsunternehmen immer wieder die Findigkeit der Großstadtbewohner im Überlebenskampf: Hier gibt es eine Türstörung, da fährt ein ungeheizter Wagen. Und ihr fahrt von Zehlendorf nach Oranienburg. Ein Dschungel hat Giftschlangen und böse Raubkatzen, eine S-Bahn dagegen keine Alternative. Zumindest gilt dies für den umweltbewussten (alkoholkonsumierenden) Durchschnittsberliner. Wir frieren, wir fluchen, wir fahren weiter.

Doch was wäre eine Bahnfahrt ohne nette Begleitung? Die gibt es in verschiedenen Varianten. Montagmorgens um halb acht erfreuen sich 382 verschlafene Fahrgäste am Telefonat von Jutta F., die unbedingt ihrem Schwiegersohn erzählen muss, wie das Wochenende mit den Enkelkindern war. Und dabei besonders laut spricht, um das Quietschen der Waggonverbindungen und die Musik aus den Kopfhörern eures Sitznachbarn zu übertönen. Aber ihr habt Glück, denn ihr sitzt. Nichts ersetzt Frühsport besser als eine Runde S-Bahn-Surfen zwischen Anzugträgern und Muttis mit Kinderwagen. Am späten Nachmittag und Abend trifft man zusätzlich Stadtbesucher. Unschwer zu erkennen sind sie an ihren Rucksäcken und Stadtplänen, die sie euch als Dank eurer Gastfreundschaft laut vorlesen. Be restless, be clueless, be Berlin. Zumindest als Tourist. Interessanter wird es noch, wenn die Touristen in Scharen in die Bahn strömen, um diverse Großveranstaltungen aufzumischen. Mein Versuch, euch ein Foto zu präsentieren, ist kläglich gescheitert. Interessanter wird es noch, wenn die Touristen in Scharen in die Bahn strömen, um diverse Großveranstaltungen aufzumischen. Mein Versuch, euch ein Foto zu präsentieren, ist kläglich gescheitert.



Wer dem entgehen will und mutig genug ist, klaut sich ein Rad und strampelt munter drauf los. Munter, bis man sich an der roten Ampel auf der dreispurigen Fahrbahn zwischen wartenden und parkenden Autos wiederfindet, und überlegt, ob es nicht sicherer ist, zwischen Kinderwagen und dem Opa – der inzwischen an der Reihe ist, den Rauhaardackel auszuführen - auf dem Gehweg zu radeln. Sicherer schon, zumindest für den Radler, allerdings auch langsamer. Wer ankommen will, muss im Verkehrsfluss mitschwimmen, also hartnäckig den Autos im Weg rumrollen oder sie überholen, je nach Fahrradbeschaffenheit - und der Stärke des Selbsterhaltungstriebs.

Welche Alternative bleibt da noch? Laufen? Sicher nicht. Wer in der Rush Hour einmal den Alex überquert hat, kann sich die abendliche Joggingrunde sparen.  Autofahren ist, wie bereits angedeutet, die Todsünde eines jeden zukunftsbewussten und ökologisch unbefleckten Bürgers, außerdem lässt sich in der Großstadt nur schwer ein Depp finden, der nüchtern fahren will. Also nüchtern bleiben will. Um zu fahren. Wie auch immer.

Gesehen wurden auch schon wagemutige Inline-Skater, die trotz vierspuriger Straße und Nieselregens tapfer versuchten, auf der feuchten Straße nicht auszugleiten und Opfer der  Dominanz von vierrädigen Fahrzeugen zu werden.
Ein letzter Ausweg besteht darin, im Zweifelsfall, ob die Bahn fährt, das Rad einen Platten hat oder die Sportschuhe uncool sind, zu Hause zu bleiben. Wie öde. Ja, aber wer keine Termine vergibt, kommt auch nicht zu spät. Als Großstadtbewohner muss man sich zwangsläufig dem Verkehr hingeben und die Tatsache akzeptieren, dass wir alle etwas länger brauchen, ob gewollt oder nicht.

Frohes Ankommen,
Eure Foxy

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